Tabletklassen - vernetzen, vernetzen, vernetzen...

Mit dem Pilotversuch "Digitale Schule der Zukunft" bekamen wir die einmalige Chance, unsere Ideen für zeitgemäßen Unterricht in einem größeren Kontext anzugehen. Mit u.a. reichlich Unterstützungsmaterial von Seiten des Ministeriums und Fördergelder für die elternfinanzierten Geräte wollen wir im neuen Schuljahr 9 Schulklassen zu so genannten Tabletklassen machen. Mit zwei solcher Klassen hatten wir im letzten Jahr schon sehr gute Erfahrungen gemacht, mit dem Einsatz von BYOD und Leihtablets in Koffern sind wir schon seit Jahren auf dem Weg, Unterricht anders zu denken - mal mehr , mal weniger erfolgreich. Die Magie des (digitalen?) Lernens hat sich aber erst so richtig eingestellt, als Schüler:innen Ihr eigenes Gerät in den Unterricht mitgebracht haben.

Gleichzeitig haben sich daraus aber auch neue Herausforderungen ergeben. So war uns auch klar, dass mit dem Pilotversuch (erneut) ein Prozess  angeschoben werden muss, der aus den Erfahrungen heraus viele Vorbereitungen braucht. Da wir an unserer Schule schon immer Aufgaben auf möglichst viele Schultern verteilen und Entwicklungen immer möglichst kooperativ denken, war es meine Aufgabe, Teams für die Umsetzung einzelner "Baustellen" zu finden. Der Charme liegt darin, Aufgaben einerseits besser zu stemmen (weil anders nicht machbar) und andererseits durch viele Teilgeber eine Kultur des Machens leichter zu aktivieren. Im Folgenden möchte ich zusammenfassen, was wir alles versucht haben zu berücksichtigen. Vielleicht hilft das ja der ein oder anderen Schule, eigene Prozesse auf dem Weg zur 1:1-Ausstattung zu reflektieren. 

 

Schulung der Schüler:innen

Im Laufe der ersten Tabletklassen haben wir gemerkt: eine einheitliche Schulung zu Beginn des Schuljahres wäre hilfreich gewesen. Während z.B. der Book Creator mehrfach in einzelnen Fächern geschult wurde hatten viele Schüler:innen am Ende des Schuljahres immer noch kein ordentliches System, Ihre erstellten Dokumente wiederzufinden.  

Unsere Chrissy Glöckler hat sich dann Gedanken gemacht, welche Inhalte vorab alle Schüler:innen brauchen: z.B. Login Lernplattform, Datei-Ablage, Nutzung Notizbuch, Dokumente gemeinsam bearbeiten,... Es wurden daraus so viele Inhalte, dass ein pädagogischer Tag ins Leben gerufen wurde. Passend zum digitalen Arbeiten wurden diese Inhalte in eine Vorlage zum selbstständigen Erarbeiten auf die Lernplattform gepackt. So kann jeder Schüler selbst mit Arbeitsaufträgen die Tipps und Tricks ausprobieren, der Lehrer betreut und hilft gegebenenfalls - die Kids aus den Tabletklassen des letzten Jahres stehen zur Hilfe bereit. Damit ist auch in Zukunft eine Einführung nicht abhängig vom Lehrer, sondern kann in die Verantwortung der Schüler:innen gelegt werden. Einen tollen Kurs zur ersten Nutzung der Tablets hatte das BDB-Team aus Oberfranken erstellt (DAAAAAANKE) - leider nur für Schulen in Bayern nutzbar. Den haben wir einfach in unsere Schüler: innen-Schulung integriert. Ressourcen so oft wie möglich zu schonen muss dauerhaft das Ziel eines jeden Projekts sein.

Schulung der Kolleg:innen

Seit Jahren setzen wir auf Mikro-Schilfs, um auch unsere Lehrer:innen fit für den Unterricht zu machen. Mit den beiden Tabletklassen haben sich auch neue Standards (Nutzung Lernplattform, Kursnotizbuch,...) aber auch neue Herausforderungen ergeben (Produktionsorientierung, Prüfungsformate,...). Daher wollen wir natürlich auch die Kolleg:innen auf den aktuellen Stand bringen, die nicht ein Jahr lang Erfahrungen mit den Tabletklassen sammeln konnten. Ich habe einfach Lehrer:innen aus den Tabletklassen gefragt, welche Standards man unbedingt an die Kolleg:innen weitergeben müsste. Daraus haben sich einige Schilfs ergeben, die wir jetzt am ersten pädagogischen Tag anbieten wollen. Um Nachhaltigkeit zu erzeugen, werden diese Fortbildungen aber auch in unserem Mikro-SchiLF-Konzept weitergeführt. Sehr wahrscheinlich können wir im nächsten Jahr noch mehr anbieten. Denn eines haben wir mit Sicherheit gelernt: Unterricht in Tablet-Klassen ist niemals gleich, jeder Lehrer schickt seine Schüler:innen auf eine andere Lernreise. Daher werden wir im nächsten Jahr auch wieder neue Ideen weitertragen können, die wir heute noch nicht kennen. 

Nutzungsordnung - technisch und pädagogisch

...und dann hatten wir einfach zwei Tabletklassen und die schalten das einfach an, wann sie wollen. Ziemlich schnell war uns klar, dass allein das Vorhandensein eines privaten Gerätes im Unterricht nicht automatisch alles erlaubt, was das Gerät kann. Also hat die liebe Sybille Ziegler gemeinsam mit einem Team einen "Leitfaden für das digitale Zusammenarbeiten" entworfen. Das war gar nicht so einfach, zu viel Eingriff auf private Geräte sollte man nicht nehmen und bei Verfehlungen Geräte abnehmen verhindert vielleicht das praktische Arbeiten in der nächsten Stunde. Gleichzeitig wollen wir auf den Gängen und im Klassenzimmer keine Kids, die ständig den Bildschirm aufklappen. Am Ende gestaltet der Lehrer in seiner pädagogischen Verantwortung seinen Unterricht und dann kann es auch sinnvoll sein, das Gerät im Schulranzen zu belassen oder es für digitale Lernaufgaben zum Unterrichtsgegenstand werden zu lassen. Manchmal entscheidet das auch der Schüler in Projekten selbst. Dies alles hat das Team im Leitfaden versucht zusammenzubringen. Das ist vor allem sehr hilfreich, um im Schulterschluss der Schulfamilie einen geeigneten Einsatz immer wieder auf die Probe zu stellen und zu hinterfragen. Vielleicht ist unser Leitfaden deshalb auch nie fertig oder offen genug für vielfältige Möglichkeiten. Einen Maßnahmenkatalog wollten wir verhindern, wir wollen die Kids ja beim Gut-Sein erwischen und nicht das Scheitern dokumentieren - was einzelne Maßnahmen bei Verfehlungen aber nicht ausschließen soll. Für die rechtliche Nutzungsordnung bekamen wir Unterstützung vom Ministerium

Pädagogische Standards?

Standards für Unterricht in Tablets zu setzen ist sehr problematisch, am Ende wollen wir keinen Einheitsbrei. Dennoch haben wir während der coronabedingten Schulschließungen auch gelernt, dass Dinge zu Hause bzw. digital ganz gut funktionieren. Also haben wir in der Schulleitung beschlossen, dass in den Tabletklassen (und gerne in den anderen Klassen auch) die Unterrichtsmaterialien (Arbeitsblätter, Arbeitsaufträge, Methoden,...) immer auf der Lernplattform zu finden sein müssen. Sei es um z.B. mit diesen selbstständig Lernaufgaben zu bewerkstelligen, den Unterricht vor-/nachzubereiten oder (un)verschuldet verpasste Unterrichtsinhalte nacharbeiten zu können. 

Darüber hinaus sollen in regelmäßigen Abständen digitale Lernaufgaben konzipiert werden. Danke an dieser Stelle an das ISB in Bayern für dieses wording und die vielen Beispiele. 

Ein offene Haltung für Neues, die Vernetzung in den Fachschaften und darüber hinaus, die Zusammenarbeit der Kolleg:innen um Vorbereitungszeit zu sparen, der Austausch über gute Praxisbeispiele,... soll zum Standard beim Unterrichten und Reflektieren des Unterrichts werden. In einer "Pädagogischen Checkliste" haben wir diese Ideen und "Standards" zusammengetragen.

Schulung/Unterstützung der Eltern

Beim ersten Elternabend zur Einführung der Tabletklassen kam gleich die Frage auf, wie wir gedenken, die Eltern in der privaten Nutzung der Geräte zu unterstützen. Einerseits gibt es hier wieder wundervolle Angebote des Ministeriums, um "die Medienerziehung in den Familien in den Blick zu nehmen" andererseits fanden wir auch auf der Homepage der Realschule Großostheim tolle Tutorials zur ersten Aufsetzung von gekauften Geräten. Auch hier: Jonas Herold und seine Kolleg:innen haben hier so starke Arbeit verrichtet, dass wir die Videos einfach 1:1 so auch an unsere Eltern weitergeben. Eine große Hürde stellte sich in der Kommunikation mit den Eltern dar: digital versendete Elternbriefe wurden nicht gelesen, analog ausgedruckte kamen nicht daheim an, Rückmeldungen waren nicht richtig,... In Sachen Elternarbeit sehen wir einen starken Nachholbedarf bei entsprechenden Projekten. Was uns hier an Argumenten gegen Tablets entgegengebracht werden würde, war uns so vorher nicht bewusst. Damit meine ich nicht die offensichtlichen Gefahren, Probleme und Verlockungen, die auch uns vor eine große Herausforderung stellen, sondern attackierend vorgetragene Falschbehauptungen. Wenigstens eine Kritik haben wir als Lob aufgenommen, sie zeigt aber auch den Bedarf an einer Diskussion mit den Eltern, was Lernen heute bedeuten soll.  Am Ende zeigte sich aber auch, dass die lauten Kritiker die einzigen waren und eine sehr große Mehrheit die Eltern hinter dem Weg der Schule stand.

Nutzung der Geräte im Lehrerraum

Uns ist es wichtig, dass die Vernetzung mit dem Klassenzimmer auch mit den Schülergeräten funktionieren soll. Daher planen wir seit Jahren parallel zu den Tabletprojekten auch die kabellose Nutzung unserer Klassenräume. Im Juli wurden jetzt die ersten fertig gestellt und mit den elternfinanzierten Geräten und den Lehrerdienstgeräten ergeben sich jetzt sehr viele neue Möglichkeiten für die Unterrichtsgestaltung und -präsentation. Man ist nicht mehr an das Pult mit Kabeln gebunden, sondern kann da etwas zeigen, wo man steht. Jeder.

Gleichzeitig hatten wir auch recherchiert, wie man die Schulbücher auf die Tablets bekommen könnte. Pro Jahr würde es uns pro Schüler 38 € kosten - das ist finanziell nicht machbar/vertretbar. Auch deshalb setzen wir nächstes Jahr wieder auf das (Klassen-)Lehrerraumprinzip. Dann nämlich können Klassensätze mit Bücher auch im Raum verbleiben und die verliehenen zu Hause. Ein neues Gerät on top im Schulranzen kann nur gut sein, wenn auf andere Weise dort Platz gespart wird. Mit den aktuellen Lizenzierungsmodellen der Verlage ist das aber fast nicht möglich. Da hoffen wir auf Vidis und den Bildungslogin. Viele Kolleg:innen haben sich aber auch schon vom Schulbuch gelöst, da bleibt es abzuwarten, wie die Entwicklung weitergeht.  

Technische Checkliste

Wir haben ein MDM im Hintergrund. Unsere Systembetreuerin Nicole Nägele hat sich zusammen mit dem verantwortlichen Systembetreuer beim Sachaufwandsträger ein System überlegt, wie die größtmögliche Freiheit auf den privaten Geräten gewährt und gleichzeitig bestimmte Apps, Restriktionen während der Schulzeit und ein Wiederfinden von verlorenen/gestohlenen Geräten gewährleistet werden können. Dazu brauchte es viele Überlegungen und Testungen und vielleicht finden wir die Balance aus passender Nutzung erst zu einem späteren Zeitpunkt. Aber ohne Administration der Geräte wollten wir nicht in den Pilotversuch starten, auch wenn es dafür ähnlich gute Argumente gibt. Als Standard gilt bei uns ein Tablet von Apple, eine Tastatur, ein Stift und eine Versicherung. Damit haben wir einfach die letzten Jahre gute Erfahrungen in der breiten Akzeptanz gemacht.

Aufgabe der Schulleitung

Ich habe mit Stefan Vielweib den besten Schulleiter, den man sich vorstellen kann. Er lässt mich das alles bisher Genannte organisieren und wenn er am fertigen Produkt etwas anders machen würde, verbessert sich das Ganze noch einmal.

Schulleiter haben viel zu viele Aufgaben und unvorstellbare Problemstellungen zu bewältigen, als dass sie Zeit für die Umsetzung eines solchen Großprojekts hätten. Daher ist es deren Aufgabe, konstruktiv zur Seite zu stehen, die Ideen der Kolleg:innen mitzutragen und zu erkennen, dass alle in der Schulfamilie dazu gehören und nicht nur Einzelkämpfer, die die Arbeit übernehmen. Haushaltsgespräche, Mitarbeitergespräche, die Schule und die Kolleg:innen nach Außen vertreten, mitzubekommen, wer alles gute Arbeit macht... -> ein guter Schulleiter weiß, dass er keine Zeit hat und erwischt seine Kolleg:innen beim gut sein bzw. hält Ihnen den Rücken frei, wenn möglich. 

Allerdings muss man hier auch erwähnen, dass die Organisation des Pilotversuchs unfassbar viel Zeit frisst. Auch wenn man die Aufgaben auf seine Kolleg:innen verteilen kann, einer muss den Hut aufhaben und die Ideen zusammenbringen/vernetzen. Diese Rolle fehlt in meinen Augen. In Hamburg z.B. gibt es den didaktischen Leiter, der wäre prädestiniert für so eine Aufgabe. Vor allem hätte es den Charme ein derartig technisches Projekt pädagogisch und didaktisch zu denken. Ich hoffe, dass in Bayern zukünftig eine solche Rolle geschaffen wird. Sollten wirklich irgendwann einmal alle Schüler ein Gerät in der Hand halten, kann das auch ein gut organisiertes Schulteam nicht mehr schaffen. Ich bin mehrfach in der Organisation an meine Grenzen gestoßen - obwohl ich die Arbeit wirklich nicht scheue. 

Fazit

Man kann nicht einfach nur Tablets kaufen lassen beim Pilotversuch, aber einen fertigen Plan kann auch keiner haben. Aber überall gemeinschaftlich mit einer beta-Version zu starten kann aus einem Versuch eine Schul- und Unterrichtsentwicklung anstoßen. Vernetzte Kollegen können bei anderen Lehrer:innen und Schulen spicken und profitieren, vernetzte Kollegien können sich der Herausforderung gemeinschaftlich stellen. Und das ist für mich der größte Auftrag bei jedem Projekt der Schulfamilie. Einer allein kann das alles niemals schaffen und dann fehlt vielleicht auch die Rückendeckung. Gemeinsam kann ein Flow entstehen und vor allem kann eine kooperative und vernetzte Schule ein großes Vorbild für die Schüler:innen von morgen sein. Fehler sind menschlich und perfekt ist kaum mehr erreichbar. Keine Ahnung, was in ein paar Jahren besser gewesen wäre, wir haben halt jetzt angefangen. Auch das ist für die Erwachsenen von morgen wichtig: sich Problemen zu stellen und das bestmögliche rauszuholen. Die Welt ändert sich zu schnell, als dass wir auf perfekt warten können.