Lehrerkooperation - machen statt wollen

  • Es muss ja nicht jeder das Rad neu erfinden.
  • Man sollte sich die Arbeit aufteilen, allein ist das kaum mehr gut hinzubekommen.
  • Man lernt am besten, wenn man etwas gemeinsam macht.

So oder so ähnlich hat man es die letzten Monate immer wieder gehört. Traurig aber wahr, bezüglich gemeinsamer Unterrichtsvorbereitung gibt es bis heute (noch) nicht sehr viele komplexere Kooperationsvorhaben. Man hat das Gefühl, Lehrer:innen müssen das Material für ihren Unterricht eher selbst zusammenstellen/gestalten. Dabei hat man gerade in Zeiten der coronabedingten Schließungen gemerkt, dass die Begleitung und die Aktivierung der Schüler:innen im Mittelpunkt stehen sollte und der Content und die Arbeitsaufträge auch von Kollegen stammen können. Gleichzeitig lernt man als Lehrer sehr früh, dass verschiedene Sozialformen in kooperativen Settings einen höheren Lernerfolg versprechen (können). Beim eigenen Unterricht lässt man sich aber ungerne über die Schulter schauen, man würde es eigentlich auch ein wenig anders machen und überhaupt, was denken denn die Schüler:innen, wenn das Material von einem anderen Lehrer kommt.

Echte Kooperationsstrukturen findet man heute meiner Wahrnehmung nach eher selten. Meist stellt einer alle seine Dateien auf einer Festplatte zur Verfügung und andere sollen die verwenden oder auch etwas dazu laden. 

Wir (8 Lehrer von 2 Schulen, heute ca. 50 von 8 Schulen) hatten vor vier Jahren beschlossen, Unterrichtsvorbereitung in Kooperation zu denken. Dabei entstand nicht nur viel tolles Material, sondern noch vieles mehr: wir ertrugen es, dass man auch anders unterrichten kann; wir lernten uns aufgrund der Distanz virtuell zu organisieren; wir reflektierten unseren eigenen Unterricht und waren froh um die neuen Impulse der anderen; wir wurden effizienter und konnten uns gleichzeitig mehr auf die Begleitung unsere Schüler:innen konzentrieren,...

Aber am Allerwichtigsten: wir lernten die Magie der Kooperation kennen und haben heute vielleicht mehr Vertrauen in unsere Schüler:innen als vorher, dass die das auch können. Lernen funktioniert oft im Team am besten, warum soll das immer nur für die Gruppenarbeit im Unterricht gelten?

Ich schreibe diesen Blogartikel gerade und bereite gleichzeitig bereits die Kooperation für das Schuljahr 2021/2022 vor. Man muss weit im Voraus beginnen, sich im Klaren sein, was man will und bereits planen, welche Schritte und Treffen noch vor dem eigentlichen Schuljahr getätigt werden sollen. Beginnt man eine solche Zusammenarbeit am ersten Schultag des neuen Schuljahres, ist es bereits zu spät. Der Alltag holt einen so schnell ein, dass für eine Zusammenarbeit nebenher oft viel zu wenig Zeit bleibt. Aber ich möchte auch noch einige andere Tipps mit auf den Weg geben, damit vielleicht auch Eure Kooperation gelingen kann. Unsere Zusammenarbeit hakt zwar auch noch an der ein oder anderen Stelle, aber mit einem ordentlichen Kraftakt zu Beginn, haben wir viel Magie rund um die Lehrerkooperation erfahren können. Vielleicht auch Du/Ihr?  

#1 Weg vom ich, hin zum wir

Ich: "Nicky, nimm doch mein ganzes Material, ist schon alles fertig."
Nicky: "Nein danke, was denken denn da die Schüler. Dass ich es selbst nicht kann?"

Ich: "Und wenn Du ein Kapitel machst und ich eines und wir nehmen es gegenseitig?"
Nicky: "Dann bin ich dabei!"
So lief das Gespräch mit meiner hochgeschätzten Kollegin. Kooperation soll nicht heißen, ich gebe Dir alles meins. Man muss sich zuerst davon lösen und das Wir akzeptieren. Bin ich bereit, das Material und die Arbeitsaufträge eines anderen einfach so zu verwenden?

#2 Team(-leiter) finden

In meinen Augen ist es wichtig, dass die Freiwilligkeit einer solchen Kooperation essentiell ist. Wer will mitmachen? Lieber klein beginnen, als sehr viel zerren müssen. Unsere Partnerschule hatte sogar eine Exit-Strategie: man testet ein paar Wochen und gegebenenfalls geht man wieder zurück - diese wurde allerdings nicht genutzt.

Gleichzeitig braucht es auch Teamleiter, irgendjemand muss sich verantwortlich fühlen und zumindest die organisatorische Gestaltung übernehmen. 

#3 Gemeinsamen Nenner finden - auch extern

Klar ist, dass jeder Lehrer seine pädagogische und didaktische Kreativität voll einbringen sollte. Gleichzeitig kann es dann aber auch sehr unübersichtlich werden. Daher hatten wir uns auf ein paar Standards geeinigt, dass ein roter Faden erkennbar ist. Gerade für Schüler:innen ist eine wiederkehrende Struktur wertvoll, um am Ende wirklich eigenverantwortlich und selbstständig arbeiten zu können. Aber auch wir Lehrer profitieren davon, weil man sich einfach in das Material des anderen einarbeiten kann. Keine Idee für gemeinsame Standards? Dann ab in die Fortbildung: als Team kann man sich verschiedenste fachdidaktische Impulse anhören und sich dann für einen gemeinsamen Plan zusammensetzen. Gemeinsam neu denken, gemeinsam anpacken, aber das schon weit im Voraus, dass man auch Zeit für die tatsächliche Gestaltung hat. 

#4 Projekt mit Rückendeckung

Es hat sich bei uns bewährt, dass von Anfang an die Schulleiter hinter uns standen. Das Projekt mit 2 Schulen, 8 Lehrern und 280km Distanz zueinander startete offiziell mit einem Telefonat der beiden Schulleitungen. Es wurde eine gemeinsame Freistunde geschaffen, um einen echten Austausch zu fördern. Das erzeugte von Anfang an Verbindlichkeiten, aber auch Rückendeckung. An den anderen Schulen gibt es zuweilen sogar eine Ermäßigung bzw. einen freien Tag für einzelne Lehrkräfte. Man muss es nicht so groß aufziehen, aber eine Kooperation ohne Wissen oder gar Anerkennung der Schulleitung ist wahrscheinlich sehr viel schwieriger umzusetzen. 

#5 Schülerzentrierte Strukturen

Wir wollten barrierefreies Arbeiten, Unterrichtsmaterial, das direkt eingesetzt werden kann. Also legten wir all unsere Links, Videos, PDFs, Arbeitsaufträge, h5ps, sonstige Textfelder,... so an, dass Sie bereits direkt an die Schüler freigeschaltet werden konnten. In einem gemeinsamen Redaktionskurs wurde von allen Lehrern gesammelt und dies dann in die digitalen Klassenzimmer der einzelnen Lehrkraft mit seinen Schüler:innen (bei mebis) kopiert (vielleicht auch Manches ergänzt oder weggelassen). Didaktische Hinweise oder Lehrermaterial wurde eingerückt und somit für jeden gekennzeichnet. Natürlich stellten wir nicht einfach nur Material online, wir überlegten uns immer, wie der Schüler möglichst kompetenzorientiert und selbstständig damit lernen kann. Mehr dazu hatte ich in diesem Blogartikel zusammengefasst. 

#6 Early bird

Fang früh an, sonst klappt es nicht. Wenn Du etwas gut machen willst - und vor anderen Lehrkräften will sich keiner die Blöße geben - kannst Du nicht eine Woche davor starten. Daher planen wir immer schon ab Ostern, verteilen ab Pfingsten die Themen und starten manchmal auch schon im alten Schuljahr mit der Gestaltung der Kurse. Neuankömmlinge warnen wir immer vor: wenn ihr es just in time macht, klappt es nicht oder es endet im Vollstress. 

#7 Feedback und Wertschätzung

Meiner Meinung nach geschieht Unterrichtsentwicklung schon dann, wenn man sich austauscht und miteinander redet. Daher versuchen wir immer wieder unsere Methoden zu reflektieren und uns in gemeinsamen Videokonferenzen Feedback zu den einzelnen Sequenzen zu geben. Wie lief es bei Dir/bei Euch? Kritisiert ist oft schnell, aber dadurch dass jeder etwas beiträgt steht im Mittelpunkt eine hohe Wertschätzung für die getane Arbeit. Nur wenn wir gemeinsam etwas besser machen täten, ändern wir es ab. Manchmal habe ich dabei auch gelernt, dass es an mir liegt, wenn etwas bei meinen Schüler:innen nicht ankommt und nicht an der Aufbereitung der Kollegen:innen. 

#8 Verbindlichkeiten schaffen

Wer dabei ist, macht mit. Einfach nur Material bekommen zählt nicht. Man bekommt ein Jahr Eingewöhnungszeit, aber dann trägt man (verpflichtend) seinen Teil dazu bei. Selbst ein Kapitel erstellen, zuarbeiten, Jahrgangskurse korrigieren,... Wenn etwas fehlt, fragen wir nach. Gleich zu Beginn eines Jahres erwarten wir auch, dass im Voraus erstellt wird. 

#9 Workflow (mit Checkliste)

Damit die Zusammenarbeit funktioniert, gibt es eine Checkliste: mit Zugängen zu den Kursen, inhaltliche Standards, Tipps zur Umsetzung, Links zur Themenverteilung, Kontaktmöglichkeiten,... Diese reicht aus, dass man weiß worum es geht (für Neuankömmlinge). Über Chats organisieren wir weitere Treffen, die Basis ist unsere Checkliste. 

#10 Fehler zulassen

Bisher war noch kein Kapitel fehlerlos, zwei weitere sind nicht vollständig, eines müssen wir nochmal ganz überarbeiten, didaktisch ist auch nicht alles so sinnvoll, wie wir das mal dachten. Aber das macht nichts. Jeder nimmt sich aus dem Redaktionskurs das, was er gut findet und brauchen kann, tendenziell ist eher zu viel Material dabei, als zu wenig. Fehler gehören zum Lernen dazu. Auch unsere Kooperation hat Mäkel (Warum nicht Teams statt mebis?), die nicht alle Teilnehmer begeistern. Wir wollten halt nicht auf Perfektionismus warten, bevor wir loslegen, wer weiß, wann es dann gestartet hätte.

Fällt Euch noch etwas zur Ergänzung ein?

Wenn ich in einer Fortbildung unsere Kooperation vorstelle, habe ich danach immer ein paar Anfragen, ob ich noch weitere ähnliche Projekte kenne. Traurig aber wahr, ich kenne nur sehr wenige. Dabei sollte die Zusammenarbeit unter Lehrkräften auch hinsichtlich der eigenen Gesundheit weiter verbreitet sein. Doch dazu braucht es Kollegen, die (mit-)machen und nicht nur wollen. Wie gut hätte es vielen im Distanzunterricht getan, wenn solche Strukturen bereits etabliert gewesen wären.

Mit diesem Blogpost will ich einerseits ermutigen, andererseits aber auch beschreiben, dass für eine gelingende Zusammenarbeit eine gesunde Portion Vorarbeit und reflektierter Austausch von Nöten sind. Dann aber kann etwas entstehen, dass einen persönlich und im Team weiterbringt. Das beste: am Ende lernen die Schüler:innen - vielleicht auch am Vorbild des kooperativen Lehrers. 

Tausend Dank an dieser Stelle der Gregor-von-Scherr-Schule in Neunburg vorm Wald mit Ferdinand für diesen gemeinsamen Weg. Danke an alle Schulen, die seitdem so aktiv daran teilhaben: 
Realschule am Europakanal Erlangen 

Städtische Realschule Weißenhorn

Franz-Xaver-von-Schönwerth-Realschule Amberg 

Ludwig-Fronhofer-Schule Ingolstadt 

Staatliche Realschule Feucht 

Staatliche Realschule Trostberg