Ein Tag im HomeOffice - WIR lernen

WIR lernen - und zwar alle. Gerade lernen wir jeden Tag neu dazu. Die letzten drei Wochen waren Neuland für alle Beteiligten. Die Krise hat uns so schnell erfasst, dass ausnahmsweise mal keine Zeit war, sich jahrelang darauf vorzubereiten, Konzepte zu schreiben, wieder zu verwerfen, immer wieder nochmal neu anzufangen...

Umso besser ist es, wenn wir da voneinander lernen können. Jan-Martin Klinge, Bob Blume und die edupnx haben unter dem Hashtag #3weeks2learn eine Beitragsparade gestartet. Ich bin sehr gespannt darauf, was andere zu berichten haben. Ich krieg von zu Hause kaum mehr was mit, Gott sei Dank gibt es Twitter, Instagram und diese Beitragsparade, dass ich auch außerhalb meiner Komfortzone Neues entdecken kann.

Mein Beitrag:
1. Ein Tag im HomeOffice - was wird gemacht?

2. Rückmeldung der SchülerInnen - was klappt/was nicht?

3. Resillienz und Co.

4. Für die Zukunft lernen?

Zwei Tage konkret - das haben wir gemacht

Bei uns stand das Thema "Flächeninhalte ebener Figuren" an. Dank unserer Kooperation hatte ich dazu Material der KollegInnen zur Verfügung, das ich einsetzen konnte.

Die SchülerInnen erhielten als erstes den Auftrag, ein Tangram zu basteln. Das brauchten wir für den nächsten Tag, um daran Neues zu entdecken. Gleichzeitig gibt es zu dem Thema aber auch Grundwissen: Was ist eine Fläche? Was ist ein Körper? Zur Wiederholung konnten sich die SchülerInnen auf dieser Seite austoben und testen, was sie aus der 5. Klasse noch wussten. darüber hinaus gab es ein PDF, auf dem verschiedene Flächen und Körper gezeichnet waren und man diese unterscheiden sollte.

Das Tangram und die Ergebnisse des Arbeitsblattes (Screenshot oder Foto) sollten an mich geschickt werden. Nicht nur zur Kontrolle, sondern auch als Signal an mich: ich habs gelesen und mitgemacht. In einem normalen Klassenzimmer sehe ich, wer etwas gemacht hat, im HomeOffice nicht. Wer mir seine Ergebnisse via einheitlich installiertem Messenger (Nicht WhatsApp!!!) geschickt hatte, bekam die Lösung zur selbstständigen Kontrolle mit einem kleinen individuellen Feedback von mir zugeschickt. Das Arbeitsblatt und das Video möchte ich an dieser Stelle nicht posten. Ein Kollege aus der Kooperation hat dies erstellt, hat aber die Materialien außerhalb dieser nicht veröffentlicht.

Das war bereits die Aufgabe für den ersten Tag: Wiederholen, begrifflich trennen und basteln. Am nächsten Tag erhielten die Kids dann die Aufgabe, unterschiedliche Figuren mit dem Tangram zu legen. Einerseits das Ausgangsquadrat, andererseits aber auch neue kreative Figuren. Diese konnten sie anderen zuschicken, mit anderen teilen und am Ende auch mir zeigen. Zweiter Arbeitsauftrag: sie sollten den Flächeninhalt des Ausgangsquadrats berechnen und Vermutungen über den Flächeninhalt der anderen gelegten Figuren anstellen. Darüber sollte man sich mit einem Klassenkameraden per Chat oder Telefon austauschen und das Ergebnis an mich schicken. Hier hat man natürlich ein Problem: meine SchülerInnen durften sich asynchron einteilen, wann sie die Aufgaben machen. Ruft jetzt einer vormittags bei jemandem an, der erst nachmittags seine Aufgaben macht, stellt das ein Problem dar. Dies ging also nicht so einfach... Wer mir seine Vermutung schickte, bekam dann ein Erklärvideo von mir, in dem ich noch einmal beschreibe, was flächengleiche Figuren sind - eine Zusammenfassung von dem, was sie hätten herausbekommen sollen. Davon sollten sie dann einen Hefteintrag machen. Mit der Flächengleichheit soll dann in den nächsten Tagen versucht werden, von bekannten Flächenberechnungen, neue wie die des Parallelogramms selbst zu entdecken.

Was klappt/was klappt nicht?

Auch wenn es meine SchülerInnen gewohnt sind, digital zu kommunizieren und zu kooperieren, war dies dennoch eine unserer ersten Hürden. Wir hatten einen gemeinsamen Chat bei einem Messenger aufgestellt. Es brauchte allein drei Tage, bis dann wirklich alle dabei waren. Aber dann ging es erst richtig los: Viele Reaktionen auf meine Ansagen, zahlreiche Rückfragen oder einfach nur 10 "OK", dann rutschte meine Ansage durch und schon wusste der nächste nicht mehr was er tun sollte, fragte nach, die anderen reagierten empört, er solle doch einfach nach oben gehen und lesen... Innerhalb kürzester Zeit war klar: der Gesamtchat wird nur von den Lehrern (wir sind zu dritt dabei) und den Klassensprechern genutzt, gemeinsames Arbeiten finden in kleineren Chats statt und jede Rückmeldung an die Lehrkraft erfolgt in einem Privatchat an ihn. Produkte, die kooperativ entstanden bzw. für ein gemeinsames Feedback gedacht waren, wurden dann auf einer anderen Seite gesammelt. Auch in den Einzelchats merkten wir schnell, dass ein gemeinsames Miteinander schon an einer eher rudimentären Kommunikation scheitert. Meine Deutsch-Kollegin baute an einem Tag daraufhin einen Arbeitsauftrag zur Netiquette ein: "Überlegt Euch ganze Sätze, wie Ihr jemandem etwas Nettes sagen könnt und überlegt Euch Regeln für ein gelingendes Miteinander." So oft schon gemacht, aber Manches kann man wohl nicht oft genug machen. Ich hängte mich an diesem Tag mit dran und ließ Ähnliches in Mathe machen. 

Eine Videokonferenz für organisatorische Fragen haben wir auch regelmäßig abgehalten. Dieser war freiwillig und oft nur von 60-70% besucht. Einerseits gab es Probleme in der Performance (nicht alle konnten in den Call hinein) und andererseits bedeutete freiwillig für manche, dass ohne Pflicht keine Teilnahme notwendig ist. Bezüglich Datenschutz bin ich bei Videokonferenz auch ziemlich hin und her gerissen: Videos der Kids einfügen war untersagt, eine Kommunikation aller Beteiligten so kaum möglich. Ich nutzte es also einfach für eine Fragerunde über Chat. Die SchülerInnen die teilnahmen schätzen dieses Instrument aber sehr und entschieden sich bei jeder Abfrage danach für einen weiteren Call zwei Tage später.

Überhaupt war das mit den passiven SchülerInnen so eine Sache. Ich musste viel hinterher telefonieren, um SchülerInnen zum Mitmachen zu ermutigen. Trotz klarer Ansage der Schulleitung hatte ich von manchen auch nach Tagen noch keine Reaktion. Aber abhängen wollte ich auch keinen. Darüber hinaus konnten ja auch andere Gründe die Ursache für das Fernbleiben sein. Wie man es auch dreht und wendet, ich bringe es nicht umhin, sie völlig frei laufen zu lassen, ich kontrolliere auch. So telefoniere ich viel, auch mit den Eltern, hole mir Feedback und ermuntere immer wieder.

Die Rückmeldung der SchülerInnen war dafür super. Bei der Umfrage der Schulleitung meldeten meine und viele andere SchülerInnen zurück, dass die Aufgaben und die Betreuung für sie angemessen wären. Überhaupt schien es mir, dass ich mehr Verständnis für das Arbeiten der Schüler entwickelte, die Schüler aber auch sehr wohlwollend das Arbeiten der Lehrkräfte schätzen und dies in der Umfrage positiv rückmeldeten. 

Eine Rückmeldung kam aber auch häufiger: "Bitte stellen Sie die Materialien doch gesammelt für ein paar Tage zusammen. Ich arbeite in einem Fach lieber am Stück, als häppchenweise jeden Tag ein bisschen was von jedem Fach." Das ist für mich die logischste aber auch größte Nachricht für das Lernen aus der Krise: 6 mal am Tag 45 Minuten passt so überhaupt nicht zum selbstständigen Arbeiten und Vertiefen.

 

Resilienz und Co.

"Mebis geht nicht Herr Schmidt." "xxx schreibt mich die ganze Zeit an und nervt mich" "Ich kann die Seite nicht aufrufen"

Tieeeeef durchatmen, kurze Pause machen und später nochmal probieren. Das war die häufigste Ankündigung in den ersten Tagen. Dass alle ihre Aufgaben vormittags um 9 Uhr machen war einfach hirnrissig, vermutlich wollten das grundsätzlich alle SchülerInnen und LehrerInnen in Bayern gleichzeitig. Wir mussten also lernen, unsere Arbeit zu verteilen bzw. uns beim ersten Versuch der nicht klappte eine weitere Pause gönnen und es danach noch einmal zu probieren. Nach ein paar Tagen meldeten mir auch SchülerInnen zurück, dass sie in der Coronakrise nun häufiger ihr Handy muteten, auf Flugzeugmodus gingen, wenn sie Mathe machten oder sonst etwas, auf das sie sich konzentrieren mussten. Das machte ich dann auch. Ich entfernte alle Push-Benachrichtigungen auf meinem Handy und arbeitete in Etappen. Erst die Mails, dann die Chats mit den SchülerInnen, dann der Messenger mit den Kollegen, erst nach Feierabend Twitter... alles gleichzeitig überforderte mich derart. Dies besprachen wir dann auch mehrfach mit den SchülerInnen. Man muss nicht von 8 - 17 Uhr erreichbar sein, vielmehr muss man sich Zeiten für sich nehmen, in denen man nicht erreichbar ist oder etwas konzentriert machen will. Wenn die Kommunikation ins Digitale rutscht, muss man umso mehr auch auf sich und seine Umgebung achten. Ich arbeitete zuerst rund um die Uhr, nach ein paar Tagen dann in Intervallen: geregelte Pause von 12 - 13:30 Uhr und Feierabend spätestens um 18 Uhr. Zwischendurch aber immer wieder Bewegungspausen. Stundenlang sitzen und arbeiten kann nicht unser Ziel sein und kann auch nicht gesund für unsere SchülerInnen sein. Bin ich froh, dass ich sportliche Kollegen habe. Die haben ins Netz kurzerhand Workouts via YouTube veröffentlicht. Dann gab es halt alle paar Tage auch in Mathe ein Sportvideo.

Für die Zukunft lernen?

Ich sammle noch, was ich aus diesen drei Wochen gelernt habe. Für mich kristallisiert sich aber immer mehr heraus, dass das selbstständige Arbeiten der SchülerInnen das A und O ist und in jeden Prozess mit eingebaut werden muss. Klar, sie können das nicht automatisch, manche vielleicht bis zum Abschluss nicht, aber es muss immer wieder versucht und angeleitet werden. Das alles geht nicht durch eine zentrale Rolle der Lehrkraft. Diese soll Unterricht inszenieren, Materialien zusammenstellen, ein Begleiter und Ansprechpartner sein, aber der Schüler selbst sollte mit seiner eigenständigen Auseinandersetzung im Mittelpunkt stehen - notfalls muss er sich eben Hilfe holen. Das geht eben nicht durch immer wiederkehrende Vorträge. Sich mit kleinen Problemstellungen auseinandersetzen, sich offen auf Projekte einlassen, gemeinsam etwas ausprobieren, scheitern und wieder was Neues ausprobieren, Mut entwickeln, sich selbst etwas zutrauen und ausprobieren,... Auch wenn die Fähigkeit und die Motivation manchmal nicht ausreicht ist der Schüler in seiner individuellen Herangehensweise wichtig. Denn nur im Prozess des selbstständigen Arbeitens kann man auch wirklich lernen, selbstständig zu arbeiten. Dabei bleibt die Lehrkraft wichtig.

Wichtig für mich wird auch sein, mich mehr mit Lehrern meiner Schule mit anderen Fächern auszutauschen. Jetzt wo ich Ihnen virtuell beim "Unterrichten" zuschauen konnte, haben ich so viel mehr Anknüpfungspunkte für fächerübergreifendes Arbeiten entdeckt. Ob im regulären Unterricht die Zeit dafür reicht, das muss man dann sehen.

Ich freue mich auf die Zeit nach der Krise. Wenn wir uns wieder von Angesicht zu Angesicht austauschen können, wenn wir wieder nebeneinander voneinander lernen und uns unterstützen können. Die Kommunikation untereinander - auch angeleitet - ist für mich das Herzstück des Unterrichts und ist momentan schwer nachzubilden. Aber wir geben unser Bestes.