Flipped Classroom trifft Lernen durch Lehren

"Getroffen" habe ich Lernen durch Lehren ja schon häufiger, zumindest virtuell. Aber weniger das Konzept, als vielmehr beeindruckende Persönlichkeiten, die überzeugend davon schwärmten: u.a.  Jean-Pol Martin, wahrscheinlich der Vater des Konzepts, Peter Ringeisen, er hat einen Mooc zu dem Thema geleitet und natürlich Daniel Bernsen, der über den Flipped Classroom zum Lernen durch Lehren kam. Spätestens nach dem Vortrag von Simone Dinse de Salas bei der Fortbildung in Dillingen zu eben der hier genannten Kombination war für mich klar: das will ich auch ausprobieren.

Planung:
Wenn ich ehrlich bin, hatte ich mir nur kurz überlegt, wie ich das Ganze umsetzen will. Hier bitte ich die Leser aus dem LdL-Netzwerk aufmerksam zu lesen und Fehler und Verbesserungsvorschläge anzumerken.
Ich gab den Schülern zum Ende des letzten Schuljahres zwei Unterrichtsstunden Zeit, im Internet und vor allem in Ihrem Schulbuch zu recherchieren, was der Inhalt ihres zugewiesenen Themas ist. Das letzte Thema des Schuljahres "Bruchterme und Bruchgleichungen" wurde in fünf wie vom Buch vorgeschlagene Unterkapitel unterteilt und auf zufällig zusammen gesetzte Gruppen aufgeteilt. Vorschrift war, dass die Schüler mindestens eine Stunde analog mit dem Schulbuch lernen und Aufgaben testen sollten und erst dann die Option Internet hinzuziehen durften. Meiner Meinung nach hätten sonst die meisten zwei Stunden Video gekuckt und ein best of erstellt. Nach diesen zwei Unterrichtsstunden habe ich drei Stunden den Computerraum reserviert, auf dem Screencastomatic für die Produktion eines Screencasts vorinstalliert war. Zur Verfügung standen des weiteren zwei Digitalkameras, um eventuell ein Lernvideo a la Daniel Jung zu erstellen, Dokumentenkameras für Legevideos oder sonstiges und auch das Smartphone war als Medium erlaubt. Auch ein anaologes Kurzreferat stand als Option zur Verfügung. Zu jeder Einheit sollte zusätzlich ein Quiz erstellt werden, das später die wichtigsten Lernziele bzw. Inhalte abfragen wird.

Die Ergebnisse sollten im Flipped Classroom Konzept eingesetzt werden. Die digitalen Ergebnissen dienten als Vorbereitung auf den Unterricht zusammen mit dem Quiz, ein Referat mit Konzeptpapier hätte ich zu Beginn einer Unterrichtsstunde halten lassen. Anschließend hätten die Experten als Tutoren ihre Klassenkameraden beim Üben bzw. bei Verständnisschwierigkeiten unterstützen sollen.

Die Durchführung

Die selbstständige Erarbeitung des eigentlich mehr oder weniger aus dem Zusammenhang gerissenen Themas (in Mathematik baut eine Sequenz fast immer aufeinander auf) lief überraschenderweise sehr gut ab. Nach knapp einem Jahr Flipped Classroom waren es die SchülerInnen aber wahrscheinlich gewohnt, eigenständig und mit Klassenkameraden zusammen zu arbeiten. Nur selten musste ich wirklich unterstützen. Das lag aber auch am Thema, das eigentlich nur die Inhalte des Bruchrechnens aus der sechsten Klasse mit dem Thema Terme aus der 8. Klasse verknüpft. Erstaunlicherweise wurde die Option YouTube-Videos bei der Vorbereitung heranzuziehen nur selten genutzt. Die Schüler begründeten dies später meist wie folgt: "In den gefundenen Videos war es nicht so gut dargestellt und zusammengefasst wie im Schulbuch." Für mich sehr seltsam, haben die SchülerInnen doch bisher nie das Schukbuch als Informationsquelle ausreichend genutzt.

Bei der Erstellung des Vortrags probierten sich ALLE Gruppen an Screencasts aus, kein einziges Referat wurde analog oder mit den übrigen Vorschlägen erstellt. Statt drei brauchten die Schüler auch nur zwei Unterrichtsstunden Zeit, in diesem Fall hatte ich die digital natives unterschätzt. Die Videos (siehe Playlist unterhalb des Artikels) waren alle brauchbar, wenn auch einige fachliche Mängel und Fehler auftauchten. Die dazu erstellten Quizze waren dagegen meist mangelhaft. Meinen SchülerInnen fiel es sehr schwer, Unterrichtsinhalte kurz und knapp zu prüfen.

Die Unterrichtsseqeunz im Flipped Classroom Format lief dann erfreulicherweise sehr gut. Die Schüler waren begeistert, Videos von Ihren Klassenkameraden für den Unterricht anzuschauen und stolz, Ihre eigenen Videos eingesetzt und auf YouTube zu sehen (keine Namen und auch kein Bild der Schüler sind aus datenschutzrechtlichen Gründen zu sehen).

Die Fehler in den Videos wurden zu Beginn einer Unterrichtsstunde von den Schülern diskutiert und jede Gruppe sollte das eigene Video selbst einschätzen. Dabei übten sie teilweise sehr harte Kritik mit sich selbst.

Was nicht wirklich klappte war die Option, dass die "Ersteller" während der Übungsphase als Experten Ihren Klassenkameraden zur Verfügung standen. Die meisten übten stattdessen lieber an schwierigen Aufgaben weiter.

Fazit

Alles in allem war das eine sehr gelungene Erfahrung, auch wenn es insgesamt sehr lange brauchte, bis alles unter Dach und Fach war. Die Zeit hatte ich aber durch den Flipped Classroom über das ganze Jahr gewonnen und dadurch entstanden keine Nachteile. Fachlich haben die Schüler viel gelernt und gerade die Lerninhalte des selbst aufbereiteten Themas waren noch bis zum Schuljahresende präsent und abrufbar. Allerdings hatten sich die Fehler in den Videos trotz Reflexion bei einigen Schülern nachhaltig festgesetzt und konnten nur schwer bereinigt werden. Das wiederum ist ein Vorteil zu Gunsten des "Lehrer Flipped Classroom", das Expertenwissen der Lehrkraft bleibt durch die Videos bestehen und davon ausgehend können die SchülerInnen vertieft eine Thematik bearbeiten. 

Darin sehe ich allerdings den einzigen Vorteil gegenüber Lernen durch Lehren, während es mir auch ein paar Nachteile des Flipped Classroom aufgezeigt hat (z.B. nutze ich mich als einsamer Ersteller der Videos wahrscheinlich bezüglich der Motivation ab).

Deswegen werde ich auch in diesem Schuljahr wieder versuchen, LdL in meinen Flipped Classroom zu integrieren, dann aber die optionalen Darbietungsmöglichkeiten etwas motivierender anpreisen.

Über ein ganzes Schuljahr kann ich mir LdL schwer vorstellen. Um alle Inhalte des Lehrplans im Fach Mathematik in diesem Tempo abzuhandeln fehlt mir zwangsläufig die Zeit. Darüber hinaus sollte eine Klasse auch schon Erfahrungen mit dem selbstständigen Er- bzw. Bearbeiten eines Themas haben. In einer aktuell geführten anderen Klasse bräuchte ich wahrscheinlich ein Vielfaches länger, bis Ergebnisse vorlägen.

Danke an alle oben genannten Experten, dass ihr für dieses tolle Konzept "Werbung" macht, es hat meinen Unterricht in jedem Fall bereichert.