Partizipation - Beitrag zur Blogparade

In einem für mich schön auf den Punkt gebrachten Blogartikel "ich entscheide", hat Jan-Martin Klinge über die Überforderung geschrieben, wenn man Kindern oder SchülerInnen in bestimmten Momenten eine Wahl lässt. Dejan Mihajlovic sieht darin aber eine Gefahr: Wenn der Lehrer entscheidet, vernachlässigen wir dann nicht die Demokratisierung und ruft zur Blogparade auf.
Ich möchte in meinem Blogartikel von meinen Erfahrungen bezüglich Partizipation berichten. Ich war Verbindungslehrer, lege meinen Unterricht mit Flipped Classroom in die Verantwortung der SchülerInnen, verteile so viele Aufgaben wie möglich an sie und möchte, dass mit der Mittleren Reife selbstbewusste, eigenständig kreativ denkende und vor allem mündige SchülerInnen unsere Schule verlassen um sich auch politisch zu engagieren. Gleichzeitig sehe ich mit wachsender Sorge, dass Übergabe von Verantwortung in zu vielen Fällen zu Gegenteiligem führt: Überforderung.

Als Eltern entscheiden lassen
Geprägt von meiner schulischen Entwicklung bin ich als Vater von zwei tollen Töchtern darauf bedacht, dass meine Kinder früh Entscheidungen selber treffen dürfen. Doch diese Freiheit hat zu oft seine Grenzen. Ich beobachte Ähnliches wie Jan-Martin Klinge: Gebe ich Alternativen, sind Kinder schnell frustriert, weil sie nicht alles auf einmal haben können. Gleichzeitig gibt es im Alltag zu viele Momente, in denen das Gesetz des Vaters oder der Mutter gelten muss: man kann bei Regen nicht das TüTü und die Flip-Flops in den Kindergarten anziehen, man kann sich nicht eine Stunde Zeit für die Bekleidung nemen, wenn man in fünf Minuten los fahren muss, man sollte mittags nicht Eis essen und Suppe auf später verschieben, man sollte nicht im 5 Sekunden Takt Spiele beginnen und dann zu einem anderen wechseln,... Gerade beim letzten Punkt ist es eigentlich in Ordnung, Kinder spielen zu lassen. Ist das Angebot aber zu groß, fällt es schwer sich zu fokussieren und Kinder springen von einem zum anderen. Daher entscheidet meine Frau und räumt immer wieder Spielsachen in den Keller oder holt wieder welche herauf.:

Gleichzeitig führen wir ein eigenes Leben, wir haben ein Haus gebaut, dass es zu pflegen gilt, wir treffen uns gerne mit Freunden und Verwandten und wir halten uns fit bzw. arbeiten an Projekten, die uns Spaß machen. Um dies zu ermöglichen, ist es wichtig, dass gelegentlich WIR ENTSCHEIDEN. Genauso gerne fahren wir mit unseren Kindern zu Zielen, die sie noch nicht kennen. Wir suchen sie aber so aus, dass Spaß und Freude daran garantiert sind. Würden wir hierbei unsere Kinder befragen, wären wir jeden Tag im selben Freibad. Wir entscheiden und abends sind uns die Kinder dankbar dafür.

Das hört sich erst einmal nach einer Diktatur an, bringt aber den Kindern vor allem eines bei: eine verlässliche Struktur. Gleichzeitig nehmen wir uns aber auch ganz viel Zeit, um unseren Kindern Freiheiten zu gewähren, sehr oft entscheiden unsere Kinder, was heute gemacht wird. Darin gilt es ein gesundes Maß zu finden, dass die Interessen der ganzen Familie berücksichtigt werden können. Zu viel Verantwortung in jungen Jahren halte ich nicht für sinnvoll, es kann nicht sein, dass jeder Termin von der Entscheidung des Nachwuchses abhängig ist.

Als Lehrer entscheiden lassen
Als Lehrer mache ich sehr positive Erfahrungen, Aufgaben auf SchülerInnen zu übertragen bzw. sie Organisationsprozessen selbst zu durchführen zu lassen. Es bringt Ihnen Vertrauen entgegen, sie lernen zu argumentieren und dass eine eigene Meinung in der Gemeinschaft nur etwas bringt, wenn andere ähnlich überzeugt sind. Für derartige Diskussionen nehme ich mir viel Zeit. Beispielsweise lasse ich SchülerInnen auch entscheiden, ob Sie mit dem Unterrichtskonzept Flipped Classroom weiterarbeiten wollen.
Aber bei manchen Punkten entscheide einfach ich: Ich führe den Flipped Classroom ein und habe dabei oft Gegensprecher. Ich bitte dann um Vertrauen und um eine Bewährungsfrist. Aber ich entscheide die Einführung. Die Erfahrung zeigt, dass nach ein paar Wochen keiner mehr dagegen ist. Hätte ich aber zu Beginn entscheiden lassen, hätte ich ihn wahrscheinlich nicht eingeführt.

SchülerInnen dürfen zu mir kommen, wenn Ihnen die Arbeit zusammen mit den Hausaufgaben in den anderen Fächern zu viel wird. Da kann ich immer irgendetwas schieben, wenn es von der ganzen Klasse gewünscht wird. Einzig Schulaufgabentermine schiebe ich nicht. Den Fehler hatte ich einmal gemacht. Die SchülerInnen wollten die Schulaufgabe um drei Wochen verschieben, allerdings fand in diesen drei Wochen kein Unterricht (Ferien und Schullandheim) statt. Ich machte der Klasse klar, dass mit der mir bekannten Arbeitsweise wohl die Ergebnisse schlechter ausfallen werden, da in den drei Wochen kaum einer freiwillig so viel wiederholt, um sich adäquat auf die Arbeit vorzubereiten. Die Mehrheit entschied sich dennoch für das Verschieben und die Schulaufgabe viel so schlecht aus, wie noch nie zuvor. Hier hätte ich zum Wohle der SchülerInnen entscheiden müssen und nicht verschieben dürfen.
So gibt es viele Punkte im Schulleben, die ich entscheiden will und zum Wohle der SchülerInnen muss: zu spät kommen, Hausaufgaben machen, Ausflugsziele (finanziell und zeitlich), Nachsitzen bei zu oft vergessenen Hausaufgaben,...
Ich glaube, dass ich im Laufe der Jahre mit klar artikulierten Vorstellungen meinen SchülerInnen einen Rahmen gebe, in dem sie sich dann aber freiheitlich austoben können.

Fazit:
Ich persönlich finde die geführte Diskussion zu sehr auf schwarz weiß begrenzt. Kein Pädagoge lässt seine Schüler alle Entscheidungen treffen genauso wenig trifft er sie alle selbst. Auch in der Demokratie gibt es Fälle in denen das Volk befragt wird und andere, in denen die Bundesregierung für unser Wohl entscheiden muss. Partizipation an der Schule ist extrem wichtig, aber wir sollten nicht die Augen davor verschließen, dass diese auch gelernt werden muss. Manchmal eben auch durch Grenzen. Je mehr Struktur, Werte und Vertrauen ich meinen Kindern und Schülern mitgeben kann, desto mehr Verantwortung werden sie auch später übernhemen können.

Wir sind mit dem Partizipationsgedanken viel weiter, als es Generationen vorher waren. Doch zum Wohle unserer Kinder müssen wir dafür sorgen, dass sie auch immer ein Stück weit Kind bleiben dürfen und wir als Eltern und Lehrer für ihr Wohl entscheiden.